31.10.2012 - 25.11.2012
BBK, Köln
www.stadt-koeln.de
Installationsansicht Fotos: Achim Kukulies
Max Schulze platziert nachgebaute Baustellenabsperrungen vor seinen Bildern. Der Ausstellungsraum ist ein ehemaliges Parkhaus zwischen Rheinpromenade und der Kölner Altstadt. Als Aktualisierungen des ja eigentlich etwas angestaubten Informel treten die Bilder auf, mehr oder weniger unkontrollierte Spritzer, vermeintlich formlos, formatiert durch die Grenzen des Bildträgers. Davor stehen nun diese schwarz und gelb lackierten und locker verschraubten Scherenlatten und tun so, als ob es um die Bilder herum etwas zu organisieren gäbe. Wenn ihr Äquivalent im öffentlichen Raum auftritt, dann selten, oder zumindest mit wenig Erfolg, um etwas physisch abzusperren. Vielmehr wird da ein Raum visuell markiert, um beispielsweise nicht das Loch über der Gasleitung am Rande des Gehwegs zu übersehen. Was bedeutet das, wenn solche Markierungen vor Bildern stehen?
Spuren führen zu Schulzes Arbeit, die vom Antagonisten des Tatsächlichen hinterlassen wurden, der visuellen Tatsächlichkeit der Schulzeproduktion. Ich will versuchen einige Spuren in Max Schulzes Arbeit freizulegen, die nicht am Ort ihres Entstehens verwischt wurden. Bild hinhängen, irgendwo, Bildfolge, serielle Vehemenz, ist alles weniger entscheidend als die Frage nach dem Bild und seinem Raum immer wieder anders zu stellen. Da wird nichts erweitert, nicht gezeigt, was Malerei kann, nicht kann oder mehr können sollte. Manchmal geht es auf die Wand, ausufernd in den Raum (wo ja in dem Fall der Absperrungszwilling steht), wird die Malerei objekthaft, performativ… Schulze verwendet Malerei und handelt mit ihr. Er verwendet Malerei als Abziehbild ihrer selbst, die er in den mentalen Siedlungsgebieten ihrer Veröffentlichung hinterlässt. Es geht um die Bedingungen ihres Auftretens und sie ist ein Werkzeug zum Markieren.
»Nervöses Wohnen« hieß seine Ausstellung in der Galerie Börgmann in Krefeld. Dort hingen Bilder in ehemaligen Wohnräumen, die zur Galerie umfunktioniert wurden. Schulze verschob in diesem Kontext einige Attribute des Raumes und abstrahierte dadurch das konventionelle Zeigen von Malerei. Er veränderte Boden und Beleuchtung, so dass der Ort als Treffpunkt selbst gestaltet wurde. Eigentlich war alles schon vorhanden, was zum Betrachten der Bilder notwendig ist: ein Boden für den sicheren Stand und Licht. Schulze inszenierte locker weiter, ohne sein eigentliches Thema zu verlassen: das Zeigen von Malerei. Ein bisschen übertreiben, Baustrahler auf rapsgelben Stativen beleuchten hier das Szenario Malerei-an-Wand und ein Bewusstsein für seinen Ort der Veröffentlichung, schwarze Folie auf dem Boden, unwahrscheinlich, aber ein Loch würde erst beim Reinfallen so richtig bemerkt werden.
Wo Malerei stattfindet, entsteht eine Realität und Schulze verhält sich zu ihr, fragmentiert ihre Bedingungen und erfindet Werkzeuge, die nicht nur angestrengt und exemplarisch am Rahmen von Malerei nagen, sondern die Realität ihrer Bedingungen mit Leichtigkeit verwenden. Schulzes Handeln hat etwas Offensives. Man kann davon ausgehen, dass Kunst immer ungefragt entsteht, aber es gibt Subcodes, die das Ungefragte absorbieren, strukturieren und verwalten können. Man kann die Realität einer Ausstellung selbst als einen Raum der Zeichen begreifen. In ihm existiert die Erwartung klarer Besetzungen, die den Künstler an einen Resonanzraum binden, in den sich visuelle Spuren einschreiben und zu schwingen beginnen. Und genau da wird Schulze störrisch, nicht der Raum als exemplarisches Repräsentationswerkzeug legt die Bedingung seiner Visualität fest. Vielmehr aktiviert Schulzes Handeln einen Raumkörper der sich permanent zu verschieben scheint, vergleichbar mit der Funktion im städtischen Raum von Graffiti. Baudrillard schreibt in KOO L KILLER oder Der Aufstand der Zeichen von 1975: »Mit den Graffiti bricht in einer Art Aufstand der Zeichen das linguistische Ghetto in die Stadt ein. In der Signalwelt der Stadt waren die Graffiti bis jetzt immer ein Untergrund - ein sexueller und pornographischer Untergrund - die verschämte, verdrängte Inschrift der Pissoirs und Baugrundstücke. Lediglich die politischen, propagandistischen Slogans ergriffen in offensiver Weise von den Wänden Besitz - erfüllte, informative Zeichen, Botschaften, für die die Wand noch ein Träger ist und die Sprache ein traditionelles Medium. Sie zielen weder auf die Wand als solche noch auf die Funktionalität als solche.« Abweichungen zwischen verschiedenen Ausstellungsräumen, in ihrer administrativen und ökonomischen Struktur, ihres Milieus und ihrer Öffentlichkeit, mögen Destillate von unterschiedlichen Ausprägungen des städtischen Raumes sein, die je nach Interpretation, seiner Besetzung und letztendlich der Umsetzung durch Signale und Zeichen unterschiedlich stimulieren. Baudrillard versteht unter einem wirklichen Graffiti, wenn es gegenüber dem verwalteten Stadtraum wie eine Art anticode funktioniert. Wenn es so tut, als ob es etwas bezeichnet, sich aber in seinem visuellen und sprachlichen Ausdruck so überschlägt, dass es im besten Fall rigoros durch das Stadtgebiet schwirrt, ohne auf eine Wand zu gehören oder einer örtlichen Logik zu entsprechen. Bei Schulze artikuliert sich das Szenario Malerei als situativer Vorschlag und überblendet damit das legitimative Moment eines Raumes mit einer eigenen schwirrenden Auffassung zum Raum.
Max Schulze bedient sich für seine visuelle Produktion in zwei Zeichenmilieus, die diametral entgegen gesetzt funktionieren, dem Comic, als eine sich selbst ausgrenzende überzeichnete Subrealität, und dem Informel, einem historisch linear eingebetteten Genre der Kunstgeschichte, legitimiert und verwaltet vom Kulturmilieu, von seinen Institutionen und seiner Ökonomie. Eigentlich scheinen sich Informel und Comic auszuschließen. Das Informel, die direkte, pure, intuitiv automatische Handlung mit Farbmaterial wehrt sich gegen jede wortwörtliche Visualität - wohingegen das Comic genau diese zur Entwicklung einer resoluten Gegenwelt kultiviert. Schulze wandelt spontane und automatistische Farbgesten in Signale und grafische Platzhalter um, nimmt ihnen damit ihren authentischen Ausdruck und entführt sie so ihrer Glaubensgemeinschaft. Der subjektive Akt, die spontane Geste wird zur überzeichneten Figur und schwirrt über der kunsthistorisch schlüssigen Einbettung des Informels als implosives Subzeichen.
Schulze hält einem repräsentativen Regime ein eigenes ästhetisches Regime gegenüber. Dem repräsentativen Regime des Informellgläubigers und seinen legitimativen Werkzeugen handelt Schulze zuwider, indem er eine bildnerische Erzählung kidnappt, ausschlachtet und durch die Fiktionalisierung vermeintlich authentischer Gesten die Administration des repräsentativen Regimes ins Leere laufen lässt. Schulze bleibt offensichtlich im Medium Malerei, verwendet sie als Textur, der er die Codes kultureller und subkultureller Milieus einschreibt. Er bedient sich unbeschwert ihrer Möglichkeiten, eignet sich Techniken an für die Realisierung seiner Bildkonzeptionen, ohne damit wirklich Erfindungen oder Erweiterungen der Medialität zu behaupten. Das ist schlüssig, denn jedes Infragestellen ist zu einer esoterischen Angelegenheit verkommen, zu selbstverständlich und damit leer. Wie ein Graffiti, das sich nicht ans Format der Architektur hält, hält sich Schulze nicht an die Institution des Trägers der Geste, der visuellen Handlung. Bei Schulze führt das Aussparen von Behauptungsversuchen zu Ergebnissen, die erzählen können. Informelle Farbräume werden in die Fläche zurück gebunden, formalisiert und neu verhandelt, Spuren werden zu Markierungen, verweben, spannen und besetzen, ohne zu formulieren, verhalten sich impulsiv, explosiv, anarchisch. Sicher nicht zufällig erinnern Farbigkeit und Mittel an subkulturelle Formalisierungen, wie Graffiti oder Comic. Damit bedient Max Schulze sich auch ihres Spannungsfeldes zwischen Befreiung und Marginalisierung, ermächtigt Spuren, Fehler werden zu Formen und zum Platzhalter für Bezeichnungen. Das Medium Malerei und sein Träger funktionieren wie eine Membran zwischen der archaischen Spur und ihrer Illustration. Schulze stellt heraus, ohne zu illustrieren und wird trotzdem nicht vage oder diffus. Seine Verwendung von Malerei ist konsequent pragmatisch. Die Fläche wird benutzt und besetzt, gekippt, gewendet. Er hat die Tricks drauf, geht auf die Wand, markiert, besprüht und verletzt den Träger. Er koppelt genau diese abstrakten und aktionistischen Gesten zurück, die exemplarisch sein könnten, übersteigert ihr Profanes und löst sie von jedem Pathos. Zufällige Spuren werden im Prozess zu Entscheidungen, weil Schulze die Spur als Markierung versteht, als solche herausarbeitet sie zu gesetzten Protagonisten werden lässt und sein Heftchen lieber mit der Taschenlampe unter der Decke liest, als vor einer spiegelnden Vitrine im Museum zu stehen.
Text: Marcel Hiller
Max Schulze places replicas of construction site barriers in front of his paintings. The exhibition space is a former parking garage between the Rhine Promenade and Cologne’s old city. The paintings look like updated versions of the Informel, a genre that is actually somewhat shopworn by now, more or less uncontrolled splatterings, apparently formless, formatted by the boundaries of their physical supports. And in front of them stand these loosely assembled diamond trellis fences painted black and yellow, which act as if there were something around these paintings that needed to be organized. When these barriers’ equivalents appear in the public space, their role is rarely to physically cordon something off – and when it is, they aren’t very successful at doing so. Instead, they tend to visually mark spaces off, for example, so that passersby won’t overlook the hole above the gas pipe at the edge of the sidewalk. What does it mean when markers likes these are placed in front of paintings?
There are traces leading to Schulze’s work that were left behind by the antagonist of the factual, of the visual facticity of Schulze’s production. I will attempt to reveal a few traces in the artist’s work that were not effaced at the site of its emergence. Hanging a painting, somewhere, anywhere, sequences of images, serial vehemence – all of this is less important than finding ever new ways to raise the question of the painting and its space. Here, nothing is being expanded or extended; we aren’t shown what painting can or can’t do or the additional things it ought to be able to accomplish. Sometimes it goes on the wall and spills over into the space (in which case the barrier’s twin puts in its appearance); painting becomes objective, performative… Schulze uses painting and does things with it. He uses painting as a kind of decal of itself, which he leaves behind in the mental »residential areas« of its public exhibition. At issue is the conditions of its appearance, and it is a tool for marking.
Nervöses Wohnen (Nervous Dwelling) was the title of his exhibition at Galerie Börgmann in Krefeld. The paintings were hung in former living spaces that had been converted into a gallery. In this context, Schulze altered a few of the space’s attributes, turning the conventional process of exhibiting paintings into something abstract. He modified the floor and the lighting, so that the site itself, as a gathering place, was designed. In fact, everything required for viewing paintings was already there: light and a floor to stand on. Schulze loosely added to this staging, without abandoning his actual focus, the exhibition of paintings. In a somewhat exaggerated gesture, floodlights on bright yellow tripods illuminated the scenario »paintings on the wall« and an awareness of its place of public presentation, and black plastic sheeting covered the floor; the situation is unlikely, but had there been a hole in the floor, a visitor wouldn’t have noticed it was there until he or she fell into it.
Where painting happens, a reality arises, and Schulze relates to that reality, fragmenting its conditions and inventing tools that don’t just gnaw intently and exemplarily at painting’s framework but effortlessly wield the reality of its conditions. Schulze’s action has something proactive about it. We may take it as a given that art always arrives unbidden, but thereare subcodes which are capable of absorbing, structuring, and administering that unbidden aspect. The reality of an exhibition may itself be seen as a space of signs. Within it, there exists the expectation of clear investments that bind the artist to a resonating chamber in which visual traces are inscribed and begin to vibrate. And this is precisely the point at which Schulze becomes refractory. It is not space as an exemplary tool for representation that defines the condition of his visuality. Rather, Schulze’s action activates a spatial body that seems to be constantly shifting, not unlike graffiti in the urban environment. Baudrillard writes in »KOOL KILLER, Or the Insurrection of Signs« (1975): »A linguistic ghetto erupts into the city with graffiti, a kind of riot of signs. In the becoming-sign of the city, graffiti has until now always constituted the basest form (the sexual and pornographic base), the shameful, repressed inscriptions in pissoirs and waste grounds. Only political and propagandistic slogans have conquered the walls in a direct offensive, full signs for which the wall is still a support and language a traditional medium. They are not aiming at the wall itself, nor at the pure functionality of signs as such.« Deviations between different exhibition spaces in terms of their administrative and economic structure, their milieu and their public character may be distillates of disparate versions of the urban environment, which stimulate in different ways depending on their interpretation, occupation, and ultimately implementation by signals and signs. Baudrillard regards as real graffiti graffiti that functions as a kind of anti-code vis-à-vis the administered urban environment, that acts as if it referred to something but comes so thick and fast in its visual and linguistic expression that ideally it whirls relentlessly through the city, without belonging to a wall or conforming to a logic of physical location. In Schulze’s case, the scenario »painting« is articulated as a situational proposition and thus eclipses a space’s legitimating moment with its own peculiar whirling conception of space.
Max Schulze draws for his visual production on two semiotic milieus that function in diametrically opposite ways: comic books, as an overdrawn, self-marginalizing subreality, and the Informel, an art-historical genre embedded in a linear art history, legitimated and administered by the art world, its institutions and economy. Indeed, the Informel and comic books seem to be mutually exclusive. The Informel – a pure, direct, intuitive, and automatic act performed with paint – resists any literal visuality, whereas comic books cultivate precisely that in order to develop a resolute counter-world. Schulze transforms spontaneous and automatistic paint gestures into signals and graphic placeholders, stripping them of their authentic expression and thus abducting them from their community of believers. The subjective act and spontaneous gesture become an overdrawn figure that whirls above the coherent art-historical embeddedness of the Informel like an implosive sub-sign.
Schulze takes a representative regime and holds up against it an aesthetic regime of his own. He acts contrary to the representative regime of the Informel’s believers and its legitimating tools, kidnaps and exploits an artistic narrative, and, by fictionalizing ostensibly authentic gestures, lets the administration of that representative regime spin its wheels. Schulze clearly remains within the medium of painting, employing it as a texture in which to inscribe the codes of cultural and subcultural milieus. He makes unabashed use of its possibilities and appropriates its techniques in order to realize his pictorial conceptions, without, however, really positing any inventions or extensions of mediality. This is a crucial point, for all calling into question has degenerated into an esotericaffair, too banal and hence too empty. Like graffiti that does not conform to the format of the architecture, Schulze does not conform to the institution of the gesture’s support, of the visual act. In Schulze’s work, refraining from making assertions leads to results that are capable of telling stories. Informal painted spaces are tied back to the surface, formalized, and renegotiated; traces are turned into markings; they weave, stretch, and occupy without formulating, behave impulsively, explosively, anarchically. It is certainly no accident that color and technique recall subcultural formalizations like graffiti or comic books. In alluding to these, Schulze also draws on their tension between liberation and marginalization; he empowers traces; mistakes become forms and placeholders for designations. The medium of painting and its support function as a membrane between the archaic trace and its illustration. Schulze highlights without illustrating and yet never becomes vague or diffuse. His use of painting is consistently pragmatic. The surface is utilized and occupied, tipped and turned. He knows all the tricks; he goes to the wall, marks, sprays, and lacerates the support. He feeds back precisely these abstract, actionist gestures that could be exemplary, exaggerates their profane character, and strips them of all pathos. In the process, accidental traces become decisions, because Schulze sees traces as markings, develops them as such, and turns them into posited protagonists, and would rather read his comic book with a flashlight under the covers than stand before a mirrored display case at a museum.
Text: Marcel Hiller
31.10.2012 - 25.11.2012
BBK, Köln
www.stadt-koeln.de
Installationsansicht Fotos: Achim Kukulies
Max Schulze platziert nachgebaute Baustellenabsperrungen vor seinen Bildern. Der Ausstellungsraum ist ein ehemaliges Parkhaus zwischen Rheinpromenade und der Kölner Altstadt. Als Aktualisierungen des ja eigentlich etwas angestaubten Informel treten die Bilder auf, mehr oder weniger unkontrollierte Spritzer, vermeintlich formlos, formatiert durch die Grenzen des Bildträgers. Davor stehen nun diese schwarz und gelb lackierten und locker verschraubten Scherenlatten und tun so, als ob es um die Bilder herum etwas zu organisieren gäbe. Wenn ihr Äquivalent im öffentlichen Raum auftritt, dann selten, oder zumindest mit wenig Erfolg, um etwas physisch abzusperren. Vielmehr wird da ein Raum visuell markiert, um beispielsweise nicht das Loch über der Gasleitung am Rande des Gehwegs zu übersehen. Was bedeutet das, wenn solche Markierungen vor Bildern stehen?
Spuren führen zu Schulzes Arbeit, die vom Antagonisten des Tatsächlichen hinterlassen wurden, der visuellen Tatsächlichkeit der Schulzeproduktion. Ich will versuchen einige Spuren in Max Schulzes Arbeit freizulegen, die nicht am Ort ihres Entstehens verwischt wurden. Bild hinhängen, irgendwo, Bildfolge, serielle Vehemenz, ist alles weniger entscheidend als die Frage nach dem Bild und seinem Raum immer wieder anders zu stellen. Da wird nichts erweitert, nicht gezeigt, was Malerei kann, nicht kann oder mehr können sollte. Manchmal geht es auf die Wand, ausufernd in den Raum (wo ja in dem Fall der Absperrungszwilling steht), wird die Malerei objekthaft, performativ… Schulze verwendet Malerei und handelt mit ihr. Er verwendet Malerei als Abziehbild ihrer selbst, die er in den mentalen Siedlungsgebieten ihrer Veröffentlichung hinterlässt. Es geht um die Bedingungen ihres Auftretens und sie ist ein Werkzeug zum Markieren.
»Nervöses Wohnen« hieß seine Ausstellung in der Galerie Börgmann in Krefeld. Dort hingen Bilder in ehemaligen Wohnräumen, die zur Galerie umfunktioniert wurden. Schulze verschob in diesem Kontext einige Attribute des Raumes und abstrahierte dadurch das konventionelle Zeigen von Malerei. Er veränderte Boden und Beleuchtung, so dass der Ort als Treffpunkt selbst gestaltet wurde. Eigentlich war alles schon vorhanden, was zum Betrachten der Bilder notwendig ist: ein Boden für den sicheren Stand und Licht. Schulze inszenierte locker weiter, ohne sein eigentliches Thema zu verlassen: das Zeigen von Malerei. Ein bisschen übertreiben, Baustrahler auf rapsgelben Stativen beleuchten hier das Szenario Malerei-an-Wand und ein Bewusstsein für seinen Ort der Veröffentlichung, schwarze Folie auf dem Boden, unwahrscheinlich, aber ein Loch würde erst beim Reinfallen so richtig bemerkt werden.
Wo Malerei stattfindet, entsteht eine Realität und Schulze verhält sich zu ihr, fragmentiert ihre Bedingungen und erfindet Werkzeuge, die nicht nur angestrengt und exemplarisch am Rahmen von Malerei nagen, sondern die Realität ihrer Bedingungen mit Leichtigkeit verwenden. Schulzes Handeln hat etwas Offensives. Man kann davon ausgehen, dass Kunst immer ungefragt entsteht, aber es gibt Subcodes, die das Ungefragte absorbieren, strukturieren und verwalten können. Man kann die Realität einer Ausstellung selbst als einen Raum der Zeichen begreifen. In ihm existiert die Erwartung klarer Besetzungen, die den Künstler an einen Resonanzraum binden, in den sich visuelle Spuren einschreiben und zu schwingen beginnen. Und genau da wird Schulze störrisch, nicht der Raum als exemplarisches Repräsentationswerkzeug legt die Bedingung seiner Visualität fest. Vielmehr aktiviert Schulzes Handeln einen Raumkörper der sich permanent zu verschieben scheint, vergleichbar mit der Funktion im städtischen Raum von Graffiti. Baudrillard schreibt in KOO L KILLER oder Der Aufstand der Zeichen von 1975: »Mit den Graffiti bricht in einer Art Aufstand der Zeichen das linguistische Ghetto in die Stadt ein. In der Signalwelt der Stadt waren die Graffiti bis jetzt immer ein Untergrund - ein sexueller und pornographischer Untergrund - die verschämte, verdrängte Inschrift der Pissoirs und Baugrundstücke. Lediglich die politischen, propagandistischen Slogans ergriffen in offensiver Weise von den Wänden Besitz - erfüllte, informative Zeichen, Botschaften, für die die Wand noch ein Träger ist und die Sprache ein traditionelles Medium. Sie zielen weder auf die Wand als solche noch auf die Funktionalität als solche.« Abweichungen zwischen verschiedenen Ausstellungsräumen, in ihrer administrativen und ökonomischen Struktur, ihres Milieus und ihrer Öffentlichkeit, mögen Destillate von unterschiedlichen Ausprägungen des städtischen Raumes sein, die je nach Interpretation, seiner Besetzung und letztendlich der Umsetzung durch Signale und Zeichen unterschiedlich stimulieren. Baudrillard versteht unter einem wirklichen Graffiti, wenn es gegenüber dem verwalteten Stadtraum wie eine Art anticode funktioniert. Wenn es so tut, als ob es etwas bezeichnet, sich aber in seinem visuellen und sprachlichen Ausdruck so überschlägt, dass es im besten Fall rigoros durch das Stadtgebiet schwirrt, ohne auf eine Wand zu gehören oder einer örtlichen Logik zu entsprechen. Bei Schulze artikuliert sich das Szenario Malerei als situativer Vorschlag und überblendet damit das legitimative Moment eines Raumes mit einer eigenen schwirrenden Auffassung zum Raum.
Max Schulze bedient sich für seine visuelle Produktion in zwei Zeichenmilieus, die diametral entgegen gesetzt funktionieren, dem Comic, als eine sich selbst ausgrenzende überzeichnete Subrealität, und dem Informel, einem historisch linear eingebetteten Genre der Kunstgeschichte, legitimiert und verwaltet vom Kulturmilieu, von seinen Institutionen und seiner Ökonomie. Eigentlich scheinen sich Informel und Comic auszuschließen. Das Informel, die direkte, pure, intuitiv automatische Handlung mit Farbmaterial wehrt sich gegen jede wortwörtliche Visualität - wohingegen das Comic genau diese zur Entwicklung einer resoluten Gegenwelt kultiviert. Schulze wandelt spontane und automatistische Farbgesten in Signale und grafische Platzhalter um, nimmt ihnen damit ihren authentischen Ausdruck und entführt sie so ihrer Glaubensgemeinschaft. Der subjektive Akt, die spontane Geste wird zur überzeichneten Figur und schwirrt über der kunsthistorisch schlüssigen Einbettung des Informels als implosives Subzeichen.
Schulze hält einem repräsentativen Regime ein eigenes ästhetisches Regime gegenüber. Dem repräsentativen Regime des Informellgläubigers und seinen legitimativen Werkzeugen handelt Schulze zuwider, indem er eine bildnerische Erzählung kidnappt, ausschlachtet und durch die Fiktionalisierung vermeintlich authentischer Gesten die Administration des repräsentativen Regimes ins Leere laufen lässt. Schulze bleibt offensichtlich im Medium Malerei, verwendet sie als Textur, der er die Codes kultureller und subkultureller Milieus einschreibt. Er bedient sich unbeschwert ihrer Möglichkeiten, eignet sich Techniken an für die Realisierung seiner Bildkonzeptionen, ohne damit wirklich Erfindungen oder Erweiterungen der Medialität zu behaupten. Das ist schlüssig, denn jedes Infragestellen ist zu einer esoterischen Angelegenheit verkommen, zu selbstverständlich und damit leer. Wie ein Graffiti, das sich nicht ans Format der Architektur hält, hält sich Schulze nicht an die Institution des Trägers der Geste, der visuellen Handlung. Bei Schulze führt das Aussparen von Behauptungsversuchen zu Ergebnissen, die erzählen können. Informelle Farbräume werden in die Fläche zurück gebunden, formalisiert und neu verhandelt, Spuren werden zu Markierungen, verweben, spannen und besetzen, ohne zu formulieren, verhalten sich impulsiv, explosiv, anarchisch. Sicher nicht zufällig erinnern Farbigkeit und Mittel an subkulturelle Formalisierungen, wie Graffiti oder Comic. Damit bedient Max Schulze sich auch ihres Spannungsfeldes zwischen Befreiung und Marginalisierung, ermächtigt Spuren, Fehler werden zu Formen und zum Platzhalter für Bezeichnungen. Das Medium Malerei und sein Träger funktionieren wie eine Membran zwischen der archaischen Spur und ihrer Illustration. Schulze stellt heraus, ohne zu illustrieren und wird trotzdem nicht vage oder diffus. Seine Verwendung von Malerei ist konsequent pragmatisch. Die Fläche wird benutzt und besetzt, gekippt, gewendet. Er hat die Tricks drauf, geht auf die Wand, markiert, besprüht und verletzt den Träger. Er koppelt genau diese abstrakten und aktionistischen Gesten zurück, die exemplarisch sein könnten, übersteigert ihr Profanes und löst sie von jedem Pathos. Zufällige Spuren werden im Prozess zu Entscheidungen, weil Schulze die Spur als Markierung versteht, als solche herausarbeitet sie zu gesetzten Protagonisten werden lässt und sein Heftchen lieber mit der Taschenlampe unter der Decke liest, als vor einer spiegelnden Vitrine im Museum zu stehen.
Text: Marcel Hiller
Max Schulze places replicas of construction site barriers in front of his paintings. The exhibition space is a former parking garage between the Rhine Promenade and Cologne’s old city. The paintings look like updated versions of the Informel, a genre that is actually somewhat shopworn by now, more or less uncontrolled splatterings, apparently formless, formatted by the boundaries of their physical supports. And in front of them stand these loosely assembled diamond trellis fences painted black and yellow, which act as if there were something around these paintings that needed to be organized. When these barriers’ equivalents appear in the public space, their role is rarely to physically cordon something off – and when it is, they aren’t very successful at doing so. Instead, they tend to visually mark spaces off, for example, so that passersby won’t overlook the hole above the gas pipe at the edge of the sidewalk. What does it mean when markers likes these are placed in front of paintings?
There are traces leading to Schulze’s work that were left behind by the antagonist of the factual, of the visual facticity of Schulze’s production. I will attempt to reveal a few traces in the artist’s work that were not effaced at the site of its emergence. Hanging a painting, somewhere, anywhere, sequences of images, serial vehemence – all of this is less important than finding ever new ways to raise the question of the painting and its space. Here, nothing is being expanded or extended; we aren’t shown what painting can or can’t do or the additional things it ought to be able to accomplish. Sometimes it goes on the wall and spills over into the space (in which case the barrier’s twin puts in its appearance); painting becomes objective, performative… Schulze uses painting and does things with it. He uses painting as a kind of decal of itself, which he leaves behind in the mental »residential areas« of its public exhibition. At issue is the conditions of its appearance, and it is a tool for marking.
Nervöses Wohnen (Nervous Dwelling) was the title of his exhibition at Galerie Börgmann in Krefeld. The paintings were hung in former living spaces that had been converted into a gallery. In this context, Schulze altered a few of the space’s attributes, turning the conventional process of exhibiting paintings into something abstract. He modified the floor and the lighting, so that the site itself, as a gathering place, was designed. In fact, everything required for viewing paintings was already there: light and a floor to stand on. Schulze loosely added to this staging, without abandoning his actual focus, the exhibition of paintings. In a somewhat exaggerated gesture, floodlights on bright yellow tripods illuminated the scenario »paintings on the wall« and an awareness of its place of public presentation, and black plastic sheeting covered the floor; the situation is unlikely, but had there been a hole in the floor, a visitor wouldn’t have noticed it was there until he or she fell into it.
Where painting happens, a reality arises, and Schulze relates to that reality, fragmenting its conditions and inventing tools that don’t just gnaw intently and exemplarily at painting’s framework but effortlessly wield the reality of its conditions. Schulze’s action has something proactive about it. We may take it as a given that art always arrives unbidden, but thereare subcodes which are capable of absorbing, structuring, and administering that unbidden aspect. The reality of an exhibition may itself be seen as a space of signs. Within it, there exists the expectation of clear investments that bind the artist to a resonating chamber in which visual traces are inscribed and begin to vibrate. And this is precisely the point at which Schulze becomes refractory. It is not space as an exemplary tool for representation that defines the condition of his visuality. Rather, Schulze’s action activates a spatial body that seems to be constantly shifting, not unlike graffiti in the urban environment. Baudrillard writes in »KOOL KILLER, Or the Insurrection of Signs« (1975): »A linguistic ghetto erupts into the city with graffiti, a kind of riot of signs. In the becoming-sign of the city, graffiti has until now always constituted the basest form (the sexual and pornographic base), the shameful, repressed inscriptions in pissoirs and waste grounds. Only political and propagandistic slogans have conquered the walls in a direct offensive, full signs for which the wall is still a support and language a traditional medium. They are not aiming at the wall itself, nor at the pure functionality of signs as such.« Deviations between different exhibition spaces in terms of their administrative and economic structure, their milieu and their public character may be distillates of disparate versions of the urban environment, which stimulate in different ways depending on their interpretation, occupation, and ultimately implementation by signals and signs. Baudrillard regards as real graffiti graffiti that functions as a kind of anti-code vis-à-vis the administered urban environment, that acts as if it referred to something but comes so thick and fast in its visual and linguistic expression that ideally it whirls relentlessly through the city, without belonging to a wall or conforming to a logic of physical location. In Schulze’s case, the scenario »painting« is articulated as a situational proposition and thus eclipses a space’s legitimating moment with its own peculiar whirling conception of space.
Max Schulze draws for his visual production on two semiotic milieus that function in diametrically opposite ways: comic books, as an overdrawn, self-marginalizing subreality, and the Informel, an art-historical genre embedded in a linear art history, legitimated and administered by the art world, its institutions and economy. Indeed, the Informel and comic books seem to be mutually exclusive. The Informel – a pure, direct, intuitive, and automatic act performed with paint – resists any literal visuality, whereas comic books cultivate precisely that in order to develop a resolute counter-world. Schulze transforms spontaneous and automatistic paint gestures into signals and graphic placeholders, stripping them of their authentic expression and thus abducting them from their community of believers. The subjective act and spontaneous gesture become an overdrawn figure that whirls above the coherent art-historical embeddedness of the Informel like an implosive sub-sign.
Schulze takes a representative regime and holds up against it an aesthetic regime of his own. He acts contrary to the representative regime of the Informel’s believers and its legitimating tools, kidnaps and exploits an artistic narrative, and, by fictionalizing ostensibly authentic gestures, lets the administration of that representative regime spin its wheels. Schulze clearly remains within the medium of painting, employing it as a texture in which to inscribe the codes of cultural and subcultural milieus. He makes unabashed use of its possibilities and appropriates its techniques in order to realize his pictorial conceptions, without, however, really positing any inventions or extensions of mediality. This is a crucial point, for all calling into question has degenerated into an esotericaffair, too banal and hence too empty. Like graffiti that does not conform to the format of the architecture, Schulze does not conform to the institution of the gesture’s support, of the visual act. In Schulze’s work, refraining from making assertions leads to results that are capable of telling stories. Informal painted spaces are tied back to the surface, formalized, and renegotiated; traces are turned into markings; they weave, stretch, and occupy without formulating, behave impulsively, explosively, anarchically. It is certainly no accident that color and technique recall subcultural formalizations like graffiti or comic books. In alluding to these, Schulze also draws on their tension between liberation and marginalization; he empowers traces; mistakes become forms and placeholders for designations. The medium of painting and its support function as a membrane between the archaic trace and its illustration. Schulze highlights without illustrating and yet never becomes vague or diffuse. His use of painting is consistently pragmatic. The surface is utilized and occupied, tipped and turned. He knows all the tricks; he goes to the wall, marks, sprays, and lacerates the support. He feeds back precisely these abstract, actionist gestures that could be exemplary, exaggerates their profane character, and strips them of all pathos. In the process, accidental traces become decisions, because Schulze sees traces as markings, develops them as such, and turns them into posited protagonists, and would rather read his comic book with a flashlight under the covers than stand before a mirrored display case at a museum.
Text: Marcel Hiller