12.02.2011 - 27.03.2011
Märkisches Museum Witten
www.kulturforum-witten.de
Tolia Astali-Dylan Peirce, Stefan Ettlinger, Melissa Gordon, Max Schulze, Constantin Wallhäuser, Viktoria Wehrmeister, Thomas Zipp mit Josef Albers, Carl Buchheister, Gustav Deppe, Bruno Goller, Fritz Levedag, Rudolf Vombek
Installationsansicht Fotos: Achim Kukulies
Kaum ein Aspekt der modernen Kunst ist so frenetisch diskutiert worden wie ihr Fragmentcharakter. Ein vermutbarer Zusammenhang von Zerstörung, Zerstückelung, Vereinzelung und totalitären Systemkonstruktionen ist eine Konstante der Moderne und auch von Künstlern eine immer wieder aufgenommene Klärungsfrage. Die Geschichte als eine Konstruktion von Geschichten, die Erde als Ansammlung von diesen Geschichten, Sedimenten, politischen Grenzen und geologischen Strukturen, von Ideen,'Modellen und Vermutungen über die Zeit, sind Überreste, Ruinen, und vor allem das Subjekt selbst, oder noch allgemeiner, das Wissen über diese Welt vermittelt sich mehr und mehr als zusammengesetztes Fragment.
Das Erfassen und Zusammenfügen von Fragmenten stellt einen in jeder Hinsicht und für beinahe alle Wissensdisziplinen rekonstruierenden und vor allem auch künstlerischen Akt dar. Die Ergänzung des Verlorenen und Vergessenen, des Zerstörten aus greifbaren wie vorgestellten Fragmenten ist ein mnemotechnischer Prozess erster Ordnung. In der Fragmentierung der Objekte findet gewissermaßen jedoch auch ein Prozess der Abstraktion statt, der es eigentlich erst zulässt, in den Bruchstücken, den Relikten, ein Speichermedium zu sehen, welches eine Rekonstruktion ermöglicht und neue Konstellationen von Erinnerung schafft. Künstlerisch gesprochen, kann das Produkt dieses kreativen Verfahrens ein Capriccio, eine Konstruktion, Assemblage, Collage, Montage oder eben auch eine Ausstellung sein. Das Fragment kann somit parallel künstlerisch zu formendes Materialwie historische Quelle und Dokument aus eigenem Recht sein. Die Ruine ist zusammenfassend per se ein Modell der Differenz.
Insbesondere Deutschland und seine Kulturschaffenden haben durch die schmerzvolle Erfahrung zweier Weltkriege und die Schreckensherrschaft des Nazi-Regimes ein besonders ausgeprägtes Verhältnis zu Zerstörung, Ruine und Fragment entwickeln müssen.
Gustav Deppes Arbeit aus dem Nachkriegsjahr 1946, welche die Ruine des Märkischen Museums Witten zeigt, ist ein stilles Signet des Furors aus dem Zweiten Weltkrieg, Erinnerungesymbol, als auch mögliches Hoffnungselement eines werdenden Neubeginns - und eine perfekte Stellungnahme als Referenzwerk im Rahmen der Ausstellung Group Velocity. In dieser aus der Zeitgenossenschaft kuratierten Ausstellung stehen historische Werke aus der Sammlung des Museums im Dialog mit der Gegenwart und öffnen Beziehungsfelder in verschiedene, vorrangig abstrakte Richtungen. Speziell in Gustav Deppes Arbeit bündeln sich die Überlegungen eines "Verlust[es] der Mitte", wie ihn Walter Sedlmayr nach dem Krieg in der Kunst beklagte oder auch die Gedanken von Heinz Althöfer, der sich 1977 im Kunstforum international zu Fragment und Ruine eindringlich mit der Fragestellung der entscheidenden Einsicht von Restauratoren, dass „Alterung ein integrer Bestandteil des Kunstwerke“ ist und somit die ,Ruinösität' als ästhetische Erscheinung eine unabwendbare Konsequenz des Kunstschaffens offenbare. Fragment gegen System ist in dieser Debatte eine spannungsgeladene Ebene, die in der Ausstellung beispielsweise mit den Arbeiten von Deppe und Josef Albers angesprochen wird.
Interessant hierbei ist das Interesse der jüngeren Künstler, im Jahre 2011 wieder an solchen Erscheinungen. Materialitäten und Themen zu arbeiten. wobei der Blickwinkel und der gesellschaftspolitische Aspekt komplett anders gelagert sind. Die jüngere Generation der ganz unterschiedlich arbeitenden Künstler Tolia Astali/Dylan Peirce, Stefan Ettlinger, Melissa Gordon, Max Schulze, Constantin Wallhäuser, Viktoria Wehrmeister und Thomas Zipp in direkter Nachbarschaft zu den Künstlern der Nachkriegsgeneration zu sehen, ist anregend und fruchtbar. Obwohl keine Trümmer im direkten Umfeld, keine Auseinandersetzung mit den Ruinen und Fragmenten einer zersplitterten Moderne auch die künstlerischen Forfmfragen heute bestimmen, ist die Frage nach dem Sinn des Bildes und seinen hergestellten Zusammenhängen immer und mehr denn je aktuell. Das Prinzip der Montage im postmodernen Geflecht der zersplitterten Wirklichkeitserfassung innerhalb einer Sammlung ist kreative Neusetzung von Fragmenten. Die Künstler haben somit intensiv mit der Sammlung des Märkischen Museums Witten gearbeitet und verschiedene Konstellationen probiert, deren formalästhetische und inhaltliche Beziehungen passen und die gegen die Isolation der historischen und zeitgenössischen Fragmente wirken.
Sven Beckstette formulierte es einmal so: „Das lnformel als Geburtshelfer der Medienkunst. Produktive Bildstörung“(http://www.artnet.de/magazine/das-informel-als-geburtshelfer-der-medienkunst). Womit wir beim Balanceakt der Videosequenz von Constantin Wallhäuser sind, dem Initiator und neben Max Schulze auch Kurator der Ausstellung, in der es keinesfalls kopflos über die Realitätssuche von Imagination und Anschauung, Einblicke in differenzierte Systeme geht. Und das ist in dieser Ausstellung nicht das Schlechteste: eine Anschauung der Form mittels des Hintergrundes von Fragment und Ruine gegenüber System und Hoffnung. Urteilen und Mutmaßungen.
Diese Ausstellung darf somit wie eingangs beschrieben als eine Untersuchung zum Fragment als Gedächtnismedium und der Mnernosyne gelten, obwohl die kuratorischen Künstler dies niemals intendiert hatten, sondern allein meine Assoziation ist. Sie ist zwingend objektbezogen ausgerichtet und andererseits bezieht sie überzeugend die metaphorische Qualität des Fragmentbegriffs mit ein. Ähnlich der Museumsruine eines Gustav Deppe oder den Kompositionen Carl Buchheisters wird so das Fragment als Beispiel einer absoluten Metapher verstanden. Seit Aristoteles die Metapher in seiner Poetik als Übersetzung eines fremden Hauptworts in eine neue Bedeutung beschrieb, operiert die Sprache wie auch die Kunst mit der Transformation von Begriffen in neue, übertragene Kontexte von Verständigkeit. Für Hans Blumenberg stellen Metaphern sogar Leitfossilien einer archaischen Schicht des fortwährenden Prozesses theoretischer Neugierde dar, und er behandelt in seiner ,Metaphorologie ex negativo' hierbei das Bild des Fragments: „Absolute Metaphern geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“ (1979). Die „Repräsentation des Ganzen" umschreibt die Form und den Kern dessen, was das Fragment als soziales und kulturelles Gedächtnismedium auszeichnet.
lm neu hergestellten Ausstellungsverbund der Ausstellung 'Group Velocity' zwischen Werken der Nachkriegsmoderne und der Zeitgenossenschaft werden die historischen Werke wie die gegenwärtigen Arbeiten Gesamtteile einer Neuschöpfung und sind mitunter mehrfach konnotiert: als Gedächtnisobjekte eines vergangenen gesellschaftspolitischen und kunsthistorischen Zusammenhangs simultan zu ihrer nun neuen Funktion als Betrachtungsobjekte aus dem Hier und Heute. Neue Betrachtungen uncl Bedeutungen werden wie bei der Metapher freigesetzt, die vermeintliche Eindeutigkeit von Regeln und Ordnungen wird zwar verletzt, es bleibt jedoch eine Offenheit hinsichtlich der Deutung oder Interpretation.
Diese Ausstellung als Repräsentation eines Ganzen und das Fragment als Gedächtnismedium innerhalb des Ganzen, als Zusammenfügen von Objekten des Gestern und des Gegenwärtigen unter Aspekten der Abstraktion, des Informel und Ungegenständlichen wie des inhärent Figurativen, war und bleibt gleichsam normativ und positivistisch eine wunderbare Offenbarung.
Text: Gregor Jansen
12.02.2011 - 27.03.2011
Märkisches Museum Witten
www.kulturforum-witten.de
Tolia Astali-Dylan Peirce, Stefan Ettlinger, Melissa Gordon, Max Schulze, Constantin Wallhäuser, Viktoria Wehrmeister, Thomas Zipp mit Josef Albers, Carl Buchheister, Gustav Deppe, Bruno Goller, Fritz Levedag, Rudolf Vombek
Installationsansicht Fotos: Achim Kukulies
Kaum ein Aspekt der modernen Kunst ist so frenetisch diskutiert worden wie ihr Fragmentcharakter. Ein vermutbarer Zusammenhang von Zerstörung, Zerstückelung, Vereinzelung und totalitären Systemkonstruktionen ist eine Konstante der Moderne und auch von Künstlern eine immer wieder aufgenommene Klärungsfrage. Die Geschichte als eine Konstruktion von Geschichten, die Erde als Ansammlung von diesen Geschichten, Sedimenten, politischen Grenzen und geologischen Strukturen, von Ideen,'Modellen und Vermutungen über die Zeit, sind Überreste, Ruinen, und vor allem das Subjekt selbst, oder noch allgemeiner, das Wissen über diese Welt vermittelt sich mehr und mehr als zusammengesetztes Fragment.
Das Erfassen und Zusammenfügen von Fragmenten stellt einen in jeder Hinsicht und für beinahe alle Wissensdisziplinen rekonstruierenden und vor allem auch künstlerischen Akt dar. Die Ergänzung des Verlorenen und Vergessenen, des Zerstörten aus greifbaren wie vorgestellten Fragmenten ist ein mnemotechnischer Prozess erster Ordnung. In der Fragmentierung der Objekte findet gewissermaßen jedoch auch ein Prozess der Abstraktion statt, der es eigentlich erst zulässt, in den Bruchstücken, den Relikten, ein Speichermedium zu sehen, welches eine Rekonstruktion ermöglicht und neue Konstellationen von Erinnerung schafft. Künstlerisch gesprochen, kann das Produkt dieses kreativen Verfahrens ein Capriccio, eine Konstruktion, Assemblage, Collage, Montage oder eben auch eine Ausstellung sein. Das Fragment kann somit parallel künstlerisch zu formendes Materialwie historische Quelle und Dokument aus eigenem Recht sein. Die Ruine ist zusammenfassend per se ein Modell der Differenz.
Insbesondere Deutschland und seine Kulturschaffenden haben durch die schmerzvolle Erfahrung zweier Weltkriege und die Schreckensherrschaft des Nazi-Regimes ein besonders ausgeprägtes Verhältnis zu Zerstörung, Ruine und Fragment entwickeln müssen.
Gustav Deppes Arbeit aus dem Nachkriegsjahr 1946, welche die Ruine des Märkischen Museums Witten zeigt, ist ein stilles Signet des Furors aus dem Zweiten Weltkrieg, Erinnerungesymbol, als auch mögliches Hoffnungselement eines werdenden Neubeginns - und eine perfekte Stellungnahme als Referenzwerk im Rahmen der Ausstellung Group Velocity. In dieser aus der Zeitgenossenschaft kuratierten Ausstellung stehen historische Werke aus der Sammlung des Museums im Dialog mit der Gegenwart und öffnen Beziehungsfelder in verschiedene, vorrangig abstrakte Richtungen. Speziell in Gustav Deppes Arbeit bündeln sich die Überlegungen eines "Verlust[es] der Mitte", wie ihn Walter Sedlmayr nach dem Krieg in der Kunst beklagte oder auch die Gedanken von Heinz Althöfer, der sich 1977 im Kunstforum international zu Fragment und Ruine eindringlich mit der Fragestellung der entscheidenden Einsicht von Restauratoren, dass „Alterung ein integrer Bestandteil des Kunstwerke“ ist und somit die ,Ruinösität' als ästhetische Erscheinung eine unabwendbare Konsequenz des Kunstschaffens offenbare. Fragment gegen System ist in dieser Debatte eine spannungsgeladene Ebene, die in der Ausstellung beispielsweise mit den Arbeiten von Deppe und Josef Albers angesprochen wird.
Interessant hierbei ist das Interesse der jüngeren Künstler, im Jahre 2011 wieder an solchen Erscheinungen. Materialitäten und Themen zu arbeiten. wobei der Blickwinkel und der gesellschaftspolitische Aspekt komplett anders gelagert sind. Die jüngere Generation der ganz unterschiedlich arbeitenden Künstler Tolia Astali/Dylan Peirce, Stefan Ettlinger, Melissa Gordon, Max Schulze, Constantin Wallhäuser, Viktoria Wehrmeister und Thomas Zipp in direkter Nachbarschaft zu den Künstlern der Nachkriegsgeneration zu sehen, ist anregend und fruchtbar. Obwohl keine Trümmer im direkten Umfeld, keine Auseinandersetzung mit den Ruinen und Fragmenten einer zersplitterten Moderne auch die künstlerischen Forfmfragen heute bestimmen, ist die Frage nach dem Sinn des Bildes und seinen hergestellten Zusammenhängen immer und mehr denn je aktuell. Das Prinzip der Montage im postmodernen Geflecht der zersplitterten Wirklichkeitserfassung innerhalb einer Sammlung ist kreative Neusetzung von Fragmenten. Die Künstler haben somit intensiv mit der Sammlung des Märkischen Museums Witten gearbeitet und verschiedene Konstellationen probiert, deren formalästhetische und inhaltliche Beziehungen passen und die gegen die Isolation der historischen und zeitgenössischen Fragmente wirken.
Sven Beckstette formulierte es einmal so: „Das lnformel als Geburtshelfer der Medienkunst. Produktive Bildstörung“(http://www.artnet.de/magazine/das-informel-als-geburtshelfer-der-medienkunst). Womit wir beim Balanceakt der Videosequenz von Constantin Wallhäuser sind, dem Initiator und neben Max Schulze auch Kurator der Ausstellung, in der es keinesfalls kopflos über die Realitätssuche von Imagination und Anschauung, Einblicke in differenzierte Systeme geht. Und das ist in dieser Ausstellung nicht das Schlechteste: eine Anschauung der Form mittels des Hintergrundes von Fragment und Ruine gegenüber System und Hoffnung. Urteilen und Mutmaßungen.
Diese Ausstellung darf somit wie eingangs beschrieben als eine Untersuchung zum Fragment als Gedächtnismedium und der Mnernosyne gelten, obwohl die kuratorischen Künstler dies niemals intendiert hatten, sondern allein meine Assoziation ist. Sie ist zwingend objektbezogen ausgerichtet und andererseits bezieht sie überzeugend die metaphorische Qualität des Fragmentbegriffs mit ein. Ähnlich der Museumsruine eines Gustav Deppe oder den Kompositionen Carl Buchheisters wird so das Fragment als Beispiel einer absoluten Metapher verstanden. Seit Aristoteles die Metapher in seiner Poetik als Übersetzung eines fremden Hauptworts in eine neue Bedeutung beschrieb, operiert die Sprache wie auch die Kunst mit der Transformation von Begriffen in neue, übertragene Kontexte von Verständigkeit. Für Hans Blumenberg stellen Metaphern sogar Leitfossilien einer archaischen Schicht des fortwährenden Prozesses theoretischer Neugierde dar, und er behandelt in seiner ,Metaphorologie ex negativo' hierbei das Bild des Fragments: „Absolute Metaphern geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“ (1979). Die „Repräsentation des Ganzen" umschreibt die Form und den Kern dessen, was das Fragment als soziales und kulturelles Gedächtnismedium auszeichnet.
lm neu hergestellten Ausstellungsverbund der Ausstellung 'Group Velocity' zwischen Werken der Nachkriegsmoderne und der Zeitgenossenschaft werden die historischen Werke wie die gegenwärtigen Arbeiten Gesamtteile einer Neuschöpfung und sind mitunter mehrfach konnotiert: als Gedächtnisobjekte eines vergangenen gesellschaftspolitischen und kunsthistorischen Zusammenhangs simultan zu ihrer nun neuen Funktion als Betrachtungsobjekte aus dem Hier und Heute. Neue Betrachtungen uncl Bedeutungen werden wie bei der Metapher freigesetzt, die vermeintliche Eindeutigkeit von Regeln und Ordnungen wird zwar verletzt, es bleibt jedoch eine Offenheit hinsichtlich der Deutung oder Interpretation.
Diese Ausstellung als Repräsentation eines Ganzen und das Fragment als Gedächtnismedium innerhalb des Ganzen, als Zusammenfügen von Objekten des Gestern und des Gegenwärtigen unter Aspekten der Abstraktion, des Informel und Ungegenständlichen wie des inhärent Figurativen, war und bleibt gleichsam normativ und positivistisch eine wunderbare Offenbarung.
Text: Gregor Jansen